Die Kunst des Experimentierens

Ausprobieren und immer wieder neu starten ist zentraler Bestandteil der Start-up-Kultur. Was KMU vom Ansatz „Experimentability“ lernen können.

  • Wie lernen Kinder laufen? Die Entwicklungspsychologin Karen Adolph und ihr Team von der New York University haben in ihrer Untersuchung hochgerechnet, dass ein Kind in dieser Phase jeden Tag im Schnitt auf etwa 14.000 Schritte kommt. Dabei fällt es im Mittel ungefähr hundert Mal hin. Jedes Mal lernt das Kind, wie es nicht funktioniert, und adaptiert dies beim nächsten Versuch. In der Arbeitswelt wird es jedoch als unmöglich angesehen, bei ein und demselben Projekt so oft einen Fehler zu machen. Dabei ist es der angeborene Lerntrieb, der uns dazu bringt, etwas Hochkomplexes zu lernen – und darauf müssen sich Unternehmen in zunehmend komplexen Umfeldern wieder besinnen. Dieses Ausprobieren, Scheitern und Immer-wieder-Neustarten – oder kurz gesagt: das Experimentieren – ist ein zentraler Bestandteil der Start-up-Kultur. Sie nutzt eine offene Mentalität, um Neugestaltung hervorzubringen. Experimentieren ist der Dreh- und Angelpunkt der Innovations-Schleife:

    • Probieren = ergebnisoffenes Herantasten
    • Hinfallen = Fortschrittsanalyse
    • Innehalten = reflektieren
    • Adaptieren = entscheiden, es das nächste Mal anders zu machen
    • Üben = so lange weitermachen, bis es geschafft ist

  • (Quelle: Zukunftsinstitut)

5.127 Prototypen bis zum Durchbruch

  • Es wäre vermessen, zu glauben, dass Unternehmen bei der Suche nach neuen Lösungen und Innovationen sofort den direkten Weg zum Ziel finden. James Dyson behauptet, dass es 5.127 Prototypen gebraucht hat, bis sein erster beutelloser Staubsauger funktionierte. Das „Trial & Error“-Prinzip gilt nicht nur für das Entwickeln von Produkten und Services innerhalb eines Unternehmens, sondern auch für das Gründen von Unternehmen selbst. 61 Prozent der Gründer würden wieder mit einem Unternehmen starten, sollten sie mit ihrem aktuellen Projekt scheitern.

Wert übersteigt die Kosten

  • „Es sind Experimente notwendig, um Geschäftsmodelle erfolgreich zu digitalisieren oder neue digitale Geschäftsmodelle zu finden. All jene, die digital erfolgreich sind, haben dieses Denken bereits in ihrer DNA”, meint Verhaltensökonom Gerhard Fehr. Es geht darum, mit möglichst überschaubarem finanziellen Risiko wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Der kostengünstigste und sicherste Weg dorthin ist es, zu experimentieren. Mit gut designten Experimenten kann das Management – so es experimentierfreudig ist – unendlich viele Learnings gewinnen. „Der Wert der gewonnenen Erkenntnisse wird die Kosten immer übersteigen“, so Fehr weiter.

Permanent Beta

  • Ein iterativer Lernprozess ist dabei wesentlich effektiver als das langwierige Tüfteln an der einen perfekten Lösung. Man gelangt schneller an das Ziel, wenn man die Lernzyklen verkleinert. Permanent (oder Perpetual) Beta, ein von Web-2.0-Erfinder Tim O’Reilly geprägter Begriff, erklärt dieses Vorgehen zum Prinzip: die Einsicht, dass ein Produkt nie völlig ausgereift ist und im laufenden Betrieb immer weiter verbessert werden kann – und zwar am besten unter realen Testbedingungen im engen Austausch mit den Usern. Facebook, Google & Co sind auf diesem Wege zu globalen Giganten geworden. Unternehmen, die erfolgreich Innovationen vorantreiben, führen außerordentlich viele Experimente durch. Bei Facebook sind es laut Unternehmensberatung FehrAdvice mehr als 10.000 jährlich, Google oder P&G kommen auf jeweils 7.000 Experimente.

Offene Fehlerkultur

  • Um erfolgreich experimentieren zu können, müssen Unternehmen entsprechende Räume und Gelegenheiten zum Experimentieren bieten sowie eine offene Fehlerkultur etablieren. Sie sollten sicherstellen, dass Mitarbeiter kontinuierlich konstruktives Feedback zu ihrer Tätigkeit erhalten. Dies gibt den Mitarbeitern Orientierung – denn am besten lernen wir aus vorangegangenen Erfahrungen, wenn wir eine Rückmeldung erhalten und anschließend über die Inhalte reflektieren. Ein generelles Feedbackdefizit hingegen führt zu Unsicherheit, verhindert Kreativität und Risikobereitschaft.